• Mathematik-Olympiade

    Mathematik ist 'trocken' und 'anstrengend'? Auf keinen Fall! Am 13. November 2024 findet die Mathematik-Olympiade am HAG statt. 34 Schüler*innen haben sich dafür qualifiziert und können ab 8 Uhr 180 min (Jahrgangsstufen 5+6) bzw. 240 min (Jahrgangsstufen 7-13) ausgiebig Knobelaufgaben lösen.

    Mehr lesen Zum Archiv

Festival der Philosophie 2012

Wie viel Vernunft braucht der Mensch?

"Wie viel Vernunft braucht der Mensch?" - "Darf's noch ein Scheibchen mehr sein?" - Über die Frage nach der Quantifizierbarkeit von Vernunft verschaffte sich einer der Podiumsteilnehmer der Eröffnungsveranstaltung im Neuen Rathaus augenzwinkernd einen Zugang zum Thema des dritten Festivals der Philosophie der Stadt Hannover. Waren die Haare der Festivalteilnehmer an jenem Donnerstagabend im April bereits überwiegend grau gefärbt, so änderte sich dies schlagartig am Freitagmorgen. Nunmehr schwärmten junge Nachwuchsphilosophen aus Schulen der Stadt und Region Hannover aus, um der Vernunft in der Bürgerschule und im Neuen Rathaus ordentlich auf den Zahn zu fühlen. So machte sich auch das Hannah-Arendt-Gymnasium zu früher Stunde auf den Weg in die Landeshauptstadt, um sich dort auf vielfältige Weise dem zunächst etwas sperrig anmutenden Vernunftbegriff zu nähern. Vertreten waren die 5. Klassen von Frau Stalmann und Herrn Peters sowie von Frau Schöll und Frau Torka, die vier Philosophiekurse der E-Phase und die beiden Philosophie-Q1-Kurse. Lediglich die Schülerinnen und Schüler der Q2 konnten der Vernunft nicht im Rahmen des Festivals nachspüren, sondern diese allenfalls zum Gegenstand ihrer häuslichen Vorbereitungen auf das Philosophie-Abitur machen. Manchmal muss man im Leben eben sehr vernünftig sein...

Während Herrn Peters Q1-Philosophen zur Darbietung ihrer be(un)ruhigenden Szenen zum Thema "Der Schlaf der Vernunft - Traum oder Alptraum?" in die Bürgerschule einluden, tobten ab 10.00 Uhr knapp 200 Fünft- und Sechstklässler durch das imposante hannöversche Rathaus. Man ließ sich gern in den altehrwürdigen Räumen nieder, um dort in aller Rattenschärfe über die Vernunft nachzudenken. Wieder einmal bewährte es sich, auch ältere Schülerinnen und Schüler zu Lehrerinnen und Lehrern zu machen - in diesem Fall waren es die Kursteilnehmer der Q1 von Frau Hoffmann, die sich dazu aufschwangen, Fünftklässlern einen ersten Zugang zur Philosophie zu eröffnen. Während oben also die Köpfe zu rauchen begannen, wurde man auch im Untergrund aktiv. Im Kellergewölbe des Rathauses nahm das Organisationsteam, bestehend aus elf Zehntklässlern des Philosophiekurses von Frau Mußmann, unter der souveränen Leitung unserer Sozialpädagogin Adele Scheideler-Würsig seine Arbeit auf. Großformatige Pappkartons wurden zusammengeklebt und verteilt, Hunderte roter Ballons mit Gas gefüllt und mit Bändern versehen.

Zur großen Abschlussaktion hinter dem Rathaus kamen dann alle Teilnehmer zusammen. Der Himmel blau, die Ballons rot, die Schüler bunt - das alles vor der Rathauskulisse: ein toller Anblick! Auch Bürgermeister Bernd Strauch war unterdessen eingetroffenen und begrüßte wortreich die Teilnehmer des "Rattenscharfen Denkens". Leider weiß bis heute nur der Wind, was der Inhalt seiner Ansprache war, da er zwar engagiert das Megaphon einsetzte, aber trotzdem nicht zu hören war... Was hatte es nun eigentlich mit den unterdessen mit vielfältigen Überlegungen zur Vernunft gestalteten Kartons auf sich? Das fragte sich neben dem Bürgermeister auch die anwesende Presse und bekam prompt eine Antwort. Nach und nach entstand vor den Augen der Zuschauer und unter besonderem (Körper-)Einsatz von Maite Haendel und Steven Braun aus der E1 ein himmelstürmender "Turm der fragenden Vernunft". Leider wurde die Vernunft aber auch sehr schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, da Bürgermeister Strauch noch einen weiteren Auftritt hatte. Bei dem Versuch, mit einer der anwesenden Schulklassen für ein Foto zu posieren, bewegte er sich Schritt um Schritt rückwärts, stieß schließlich ungewollt gegen den Turm und brachte diesen eindrucksvoll zum Einstürzen... Reibungslos verlief demgegenüber der Start der Ballons mit den rattenschärfsten Fragen rund um das Thema "Vernunft". Schnell stiegen die etwa 200 Ballons in den hannöverschen Himmel empor und bahnten sich - wie wir später durch die originellen Antworten erfuhren - einen Weg nach Peine oder Braunschweig. Unten schaute man den Ballons noch lange hinterher.

Ein Journalist der Neuen Presse wollte es noch genauer wissen und interviewte Hevin Dogan und Greta Hunte aus der 5d. "Was ist denn vernünftig?" - "Keine Schulden zu machen, nett zu sein, die Umwelt zu schonen." - "Und: Seid ihr denn immer vernünftig?" - "Nicht immer. Aber relativ oft." Der treffende Kommentar des Journalisten: "Einsicht gehört auch zur Philosophie." Damit könnte man diesen Artikel beschließen, wenn da nicht die rattenscharfen Antworten der Finder der Ballons wären: Karin (76) und Christian (82) aus Braunschweig gaben auf die Frage "Sind alle Menschen vernünftig?" eine zugleich geistreiche und herzerwärmende Antwort: "Nicht alle Menschen und nicht immer. Aber für die Allermeisten kann kann man es annehmen, sonst wäre ein friedliches Zusammenleben kaum vorstellbar. Ausnahme: Verliebtsein. Aber die Torheiten der Befallenen haben den Künstlern aller Zeiten viel Stoff für ihre Werke geliefert."

Dass in der Kürze manchmal wirklich die Würze liegt, stellte ein Finder aus Peine unter Beweis, der die große Frage "Was ist Vernunft?" mit einem einzigen Satz beantwortete: "Viel heiße Luft in einem bunten Ballon." Und schon regt uns diese metaphorische Antwort zum erneuten Nachdenken über die Vernunft an. Das Philosophieren hört niemals auf. Darin unterscheidet es sich von diesem Artikel. Jetzt ist Schluss!

B. Mußmann

Der Schlaf der Vernunft – Traum oder Alptraum?

Be(un)ruhigende Szenarien des Q1-Philosophiekurses

Angsterfüllt rennt das kleine Mädchen (Roxana Carls, Karen Schlimme) durch den finsteren Raum, hin und wieder beleuchtet die flackernde Taschenlampe eine der maskierten Gestalten, die sich langsam, aber unaufhaltsam nähern, auch als das Mädchen sich längst unter einem Tisch zusammengekauert hat und die Augen verschließt vor dem gesichts- und namenlosen Grauen, von dem es umstellt ist. Sieht sie so aus, unsere Welt, wenn unsere Vernunft ihre Wachsamkeit verliert und einschläft? Nähern sich dann die furchterregenden Phantasiegestalten, "spukhaft, katzenköpfig, eulenäugig, fledermausflügelig", wie sie auf Francisco de Goyas Radierung Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer umherschwirren und die Lion Feuchtwanger in seinem Goya-Roman so eindrucksvoll beschreibt? Und was erkennen wir, wenn wir unsere Angst bezwingen, den Kopf heben und den Mut aufbringen, den Ungeheuern entgegenzublicken? Entdecken wir in ihnen Fabelwesen, reine Produkte unserer Phantasie und unserer Ängste? Oder treten aus der uns umgebenden Dunkelheit plötzlich reale Gestalten hervor, die sich als "Vormünder" unsere "selbstverschuldete Unmündigkeit" im Sinne Kants zunutze machen? Sind es von uns selbst hervorgebrachte Errungenschaften, die ein unkontrolliertes Eigenleben entwickeln und die uns nun bedrohen?

Aus diesen und ähnlichen Überlegungen entwickelte der Q1-Philosophiekurs Theaterszenen, die unterschiedliche Aspekte des Verhältnisses von Menschen und Vernunft beleuchteten. Beim Festival der Philosophie 2012 in Hannover, das diesmal unter dem Motto "Wie viel Vernunft braucht der Mensch" stand, führte der Kurs diese "be(un)ruhigenden Szenarien" - so der Untertitel - auf der Bühne des Bürgerzentrums Nordstadt mehrfach auf, ins rechte Licht gesetzt von Vivien Kornack und Poul Schön. Verbunden wurden die einzelnen Teile durch eigene Improvisationen am Klavier (Johanna von Engelhardt, Kea Bernsdorff), erläuternde Zwischentexte (Lukas Weinmeister) sowie Monologe (Meike Keller), die das Publikum inhaltlich durch die teilweise komplexen Gedankengänge führten:

Stellt euch vor, ihr würdet aufhören, vernünftig zu denken...Stellt euch vor, die Realität verzerre sich vor eurem inneren Auge...Stellt euch vor, die Welt verliere sich im Mystischen – nicht im Fassbaren...Genau so kann man sich einen Zustand vorstellen, in welchem die Vernunft zu schlafen beginnt. Wenn die Vernunft schläft, verlässt uns die Fähigkeit, klar zu denken und abschätzen zu können, was richtig, was real und was falsch, was irreal ist. Verlässt einen die Vernunft, so ist es, als würde man sich in einem pausenlosen Schlaf befinden. Und in Träumen ist es unmöglich, zu definieren, was nun real und was irreal ist.Ein Traum mag zu Beginn schön sein, doch entwickelt er sich im Laufe der Zeit nicht immer zu einem Alptraum?Ihr würdet alles glauben, was ihr seht, was ihr hört, was ihr fühlt. Es ist ein Zustand purer Verwirrung und absoluter Orientierungslosigkeit.Übertragen wir den Zustand dieses Individuums auf eine breite Masse, auf die Gesellschaft, so ist das einzig denkbare Resultat Chaos und Verwirrung. Ihr wäret leicht zu beeinflussen, leicht zu manipulieren, ihr wäret die Marionetten all derer, die sich schnell genug an die Spitze der Gesellschaft gestellt haben. Denkt doch nur einmal an das Jahr 1933 zurück: Das NS-Regime baute auf einer Gesellschaft auf, die von der Vernunft verlassen worden ist. Alles, was Hitler sagte, wurde akzeptiert, nichts wurde hinterfragt. Und genau deshalb mussten Tausende sterben, nur weil sich die Menschen nicht bewusst waren, in welchem Alptraum sie sich befanden...
Meike Keller, Q1

Die Schlussfolgerung scheint klar: Die Vernunft darf nicht schlafen, muss immer den Überblick behalten, muss stets auch das Verstandesvermögen des Menschen überwachen. Denn was passiert, wenn der Verstand (Annika Pankow, Jasmin Rollauer, Wiebke Schnarr) ungezügelt die Leitung übernimmt, die Menschen (Saskia Aberle, Kea Bernsdorff, Karen Schlimme) nur noch wie Marionetten steuert und ihre Handlungen jederzeit auf ihre Logik, Ökonomie, Effizienz und ihren Erfolg hin "rationalisiert"? Dann macht sich der Mensch - so die Schlussfolgerung von Horkheimer und Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung - vom Subjekt selbst zum Objekt seines Verstandes als bloßer Teil einer "entzauberten" und "berechenbaren Welt". Auf der Bühne des Bürgerzentrums ertönte der Weckruf der besonnenen Vernunft: "Spinnt ihr - das sind doch Menschen!" gerade noch rechtzeitig, um ökonomisch-rationale Exzesse in der Chefetage eines Betriebes zu verhindern, die den einzelnen Arbeiter nicht mehr als Person, sondern nur noch als schlecht funktionierendes Rädchen im Getriebe wahrnimmt.

Aber bringt der "Schlaf der Vernunft" tatsächlich ausschließlich Ungeheuer und Alpträume hervor? Immerhin sind unter den Nachtgeschöpfen, die Goyas Radierung bevölkern, auch Eule und Luchs als Verkörperung der durchaus positiven Charakteristika "Weisheit" und "Vorsicht" zu sehen. Günter Grass äußert sich in seiner Rede "Der Traum der Vernunft" ausführlich zur Doppeldeutigkeit von Goyas Bildtitel, nach der das spanische Wort "sueño" nicht nur "Schlaf", sondern auch "Traum" bedeuten kann. Kann die Vernunft also auch "träumen"? Kann sie träumend den Weg freimachen für eine Welt, in der Rationalität ebenso einen Platz findet wie Phantasie, Kunst gleichermaßen wie Wissenschaft, so dass der "Schlaf der Vernunft" nicht durchweg negativ zu bewerten ist? In Anlehnung an Novalis' aufklärungskritische Forderung, dass nicht mehr nur "Zahlen und Figuren [...] Schlüssel aller Kreaturen" sein sollen und in "Märchen und Gedichten" die "wahren Weltgeschichten" zu erkennen seien, bewertete der Kurs diesen Schlaf nun nicht mehr nur negativ, sondern personifizierte die zu Besonnenheit aufrufende Vernunft (Jasmin Rollauer) als Vermittlerin im Streit zwischen bloßer Rationalität (Maike Hohmann) und Emotionalität (Thomas Bouveyron), die für ein "traum-haftes" Ende sorgte.

A. Peters

Epilog

Es wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben, in welchem Maße Vernunft gut für uns ist. Doch verschiedene Dinge wissen wir ganz bestimmt:Vernunft im Überfluss rationalisiert unsere Wahrnehmung, unser Gefühl. wir würden nach der ultimativen Perfektion von allem streben, uns nie mit etwas zufrieden geben, immer und immer weiter versuchen, alles, aber auch wirklich alles zu hinterfragen, und auf alles müssten wir eine Antwort finden. Nach und nach würden alle Geheimnisse, alles verzaubernde der Welt verschwinden. Man kann sich das so vorstellen wie eine riesige Leinwand voller Farben, tausender Farben. Und jedes Mal, wenn man herausgefunden hat, wie man eine dieser Farben herstellt, so würde diese verschwinden. Und nach einiger Zeit würde nichts übrig bleiben, als eine öde, trostlose und eintönig weiße Leinwand.Natürlich mag diese Vorstellung, alles zu wissen, für den Moment durchaus angenehm sein, doch ist es nicht viel schöner, wenn man ab und an noch an etwas glauben kann. Wenn man tief in sich hört und weiß, dass manches unerklärlich scheint, man jedoch trotzdem daran glaubt – und einem gerade dies Mut, Sicherheit und Kraft gibt?Allerdings sollte man sein Gefühl für vernünftiges Handeln und Denken nicht zu stark vernachlässigen. Denn hat man sich erst einmal an die Vorstellung gewöhnt, einfach alles um sich herum so zu akzeptieren, wie es ist, ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen, so verliert man schnell den Überblick. Man kategorisiert Geschehnisse nicht mehr nach „richtig“ oder „falsch“; man akzeptiert sie kritiklos und schließt die eigene Meinung der der Gesellschaft an. Man selbst ist schließlich nicht mehr in der Lage, klar zu differenzieren, was denn nun das „Richtige“, was das „Falsche“ ist. Und lassen wir diese Vorstellung einen Moment auf uns wirken, dann begreifen wir doch sehr schnell, wie absurd und irreal und ein solcher Zustand vorkommt – oder etwa nicht?Optimal ist es – wie so oft –, das Mittelmaß zu finden zwischen Glaube und Vernunft. Doch ist dies nie klar festzumachen: Wie sollen wir wissen, wann wir etwas als richtig, wann etwas als falsch empfinden sollen?Wir müssen uns immer fragen, wann es notwendig ist, einen Gedanken, eine Idee, ein Handeln oder Vorhaben, sei es unser eigenes oder das eines anderen, zu hinterfragen oder einfach daran zu glauben.Denn Vernunft heißt nicht immer, alles wisse, alles erklären zu können, manchmal ist es auch vernünftig, einfach an etwas zu glauben oder auf etwas zu vertrauen. Denn genau das ist es, was uns menschlich macht.
Meike Keller, Q1